Im vergangenen Sommer haben sich die Flaggschiffe vom Hamburgischen Verein Seefahrt, der Segelkamaradschaft Wappen von Bremen und dem ASV Berlin bei den Olympischen Spielen in Rio de Janiero getroffen. Für den Weg nach Hause wurde daher promt eine Regatta ausgerufen – mit Zwischenstop auf den Azoren. Evi Seumer von den Greifswalder ASV-Studenten ließ sich die Gelegenheit nicht nehmen und heuerte für die zweite Etappe auf dem Berliner Walross 4 an. Mehr als 2000 Seemeilen von Horta nach Hamburg mit optionalem Zwischenstop auf Helgoland.
Am 24. September übernahmen wir das Schiff von der Vorcrew der ersten Etappe und hatten somit vor dem Start der zweiten Etappe am 30.09. noch reichlich Zeit für die nötigen Reparaturen. Nach einigen Tagen Arbeit war die Aufgabenliste jedoch kein bisschen kürzer geworden: unsere neue AIS-Antenne war mit unserem Gepäck am Pariser Flughafen gestrandet, das mitgebrachte Ersatzteil für die Großschotwinsch war falsch geliefert, ein Heizungschlauch zur Reparatur der schon seit längerem defekten Heizung ließ sich in Horta nicht auftreiben und bei einem Trainingsschlag hatten wir festgestellt, dass der Baumbeschlag zur Aufnahme des Lümmels wackelte. Beim Abschrauben hatten wir diesen dann im Hafenbecken versenkt, doch dank der Tauchkünste eines Crewmitglieds konnte der Beschlag beim nächsten Niedrigwasser geborgen und wieder fest verschraubt werden. Auch die anderen Baustellen wurden schließlich mehr oder weniger provisorisch beseitigt, sodass das Schiff pünktlich startklar war. Zuletzt musste noch proviantiert werden, wobei sich schon einige Unterschiede zu unserem 20-Tonnen-Mahagoni-Schiff und dem Carbon-Racer der Hamburger zeigten: während wir acht mit azoreanischen Köstlichkeiten beladene Einkaufswagen aus dem Supermarkt schoben, stand die Haspa-Crew mit nur drei Einkaufswagen voller Tütennahrung neben uns an der Kasse…
Für das Landprogramm blieb neben dem Basteln also nicht viel Zeit, aber bei einigen von der Regattaleitung organisierte Abendessen zusammen mit den Crews der anderen Schiffe, einem gemeinsamen Parlamentsbesuch und natürlich dem obligatorischen Gin Tonic im Peter Café Sport konnten wir unsere Gegner ein wenig beschnuppern.
Am 30.09. um 14 Uhr ging es dann endlich über die Startlinie: bei schönsten Sonnenschein und 12-14 Knoten konnten wir einen Nullstart hinlegen und vor den anderen Schiffen aus dem Hafen hinauskreuzen. Natürlich zogen die Haspa und die Bank von Bremen nach einiger Zeit an uns vorbei, blieben jedoch den Nachmittag über in Sichtweite. Zum Abend hin gingen wir ins Wachsystem über, das wir mit drei Wachen (aktiv, standby, frei) fahren wollten. Zunächst hieß es für uns möglichst schnell Strecke nach Norden machen um im dort liegenden Tief und den zu erwartenden achterlichen Winden zu segeln. Am nächsten Morgen hatte der Wind auch wie erwartet geraumt, sodass wir zunächst den Leichtwind-Spi und später, als der Wind zunahm, den berühmten Bären-Spi mit dem Berliner Bären setzen konnten. Leider währte die Freude über das noch in Horta geflickte Bärchen nicht lange, schon nach einer Stunde platzte das Tuch komplett aus den Lieken. Also ein fixes Bergemanöver und den Starkwind-Spi nach oben. In der nächsten Stunde nahm der Wind weiter auf ca. 25 Knoten zu und bescherte uns bis zu 18,4 kn Topspeed, die die Laune nach dem zerstörten Bärchenspi etwas hoben…. leider auch nur für zwei Stunden, bis auch der Starkwind-Spi komplett riss. Die Segel auf dem Walross sind halt doch nicht mehr die jüngsten und hatten mittlerweile wohl ihre Lebenszeit überschritten.
Die Nacht über segelten wir unter Genua bis am Morgen der Wind wieder etwas abnahm und wir den Code Zero setzen konnten. Bereits in der Nacht hatten wir achteraus das Toplicht eines Segelschiffes sehen können und nun bei Tag zeigte sich, dass es die Bank von Bremen war, die uns auf den Fersen war. Den ganzen Tag über segelten wir vor ihr her, bis sie uns am Nachmittag schließlich eingeholt hatte. Wir erfuhren über Funk, dass ihnen ein Steuerseil gerissen war und sie außerdem Probleme mit dem Groß hatten. Leider war es auch bei uns mit den Schäden nicht vorbei: kurz bevor die Bank an uns vorbei segelte, brach das Spifall, mit dem der Code gesetzt war. Bei der Begutachtung der Spifallen zeigte sich, dass auch das zweite Fall fast komplett durchgescheuert war, sodass wir zunächst gar kein Vorwindsegel mehr fahren konnten.
Zum Glück war damit aber die Serie an Missgeschicken vorerst beendet, die nächsten Tage über blieben wir von Bruch verschont und eine gewisse Bordroutine konnte sich einstellen. Das Aufstehen mitten in der Nacht oder das Schlafengehen nach dem Frühstück wurden zur Gewohnheit, wechselnde Smuts servierten jeden Tag ihre Köstlichkeiten und wo der Ruf “Delphine!” am ersten Tag noch alle an Deck gelockt hatte, wurde jetzt kaum noch aufgeschaut, wenn wieder einige der Tiere uns begleiteten. Mit raumen Winden ging es zügig weiter nach Norden, sodass jeden Tag ein Kleidungsstück mehr zur Wache angezogen werden musste.
Außerdem wurde jeden Tag gespannt auf die Wetterdaten gewartet, die wir zweimal täglich per KW-Sender abrufen konnten. In der Ausschreibung war nicht festgelegt, wie herum die britischen Inseln zu runden waren und unser Routingprogramm schickte uns beharrlich nördlich um Schottland, da dort ein Tief erwartet wurde, während im Kanal Flaute herrschte. Hatten wir zuvor noch beschlossen in keinem Fall die Nordroute zu wählen, kamen wir nun doch noch einmal ins Grübeln, ob wir entgegen aller Berechnungen durch den Kanal und damit in die Flaute fahren sollten. Letztlich wählten wir die Route durch den Kanal, ebenso wie die anderen Schiffe, denen die längere Nordroute auch zu riskant erschien.
Nach sieben Tagen gab es noch ein besonderes Ereignis: das 1000-Meilen-Fest wurde mit der gesamten Crew mit Obstsalat, einem Schluck Vino Verde und Zigarren zelebriert. Ein Crewmitglied hatte sich mit Hemd und Fliege schick gemacht, um das Schiff über die 1000-Meilen-Marke zu steuern. Gefeiert wurde jedoch nur kurz, schließlich waren wir im Regattamodus und der flaue Wind wollte genutzt werden, um bei einem Besuch im Mast die Spifallenumlenkung zu reparieren und ein neues Fall einzuziehen. Nun konnte endlich wieder der Code gesetzt werden und zog uns fix weiter gen Kanal. Auch eine Meldung, dass die Bank von Bremen nur ca. 40 Meilen vor uns segelte, gab der Stimmung an Bord reichlich Auftrieb.
Am achten Tag der Reise hieß es endlich: Land in Sicht! Der Wind hatte mittlerweile auf Ost gedreht und deutlich abgenommen, sodass nun kreuzen, die geeigneten Ecken für passende Strömung und viiiel Geduld angesagt waren. Wie unser Routingprogramm vorhergesagt hatte, erwarteten uns einige Flautenlöcher, sodass wir einige Male vor der englischen Küste einparkten und die anderen Schiffe einen deutlichen Vorsprung auf uns herausfuhren. Hinter der Straße von Dover hatte Rasmus endlich ein Einsehen mit uns uns schickte uns wieder Wind. Scheinbar waren wir mit unseren Opfergaben in der Flaute allerdings etwas zu überschwäglich und bekamen für die letzten 200 Meilen noch einmal 30+ Knoten genau auf den Bug. Zusammen mit den vielen Schiffen, Bohrplattformen, Windparks und VTGs, dazu der steilen Nordseewelle, Kälte und Regen war das letzte Stück also noch einmal kräftezehrend.
Die Ziellinie in Helgoland passierten wir am 13. Oktober um 01:43 Uhr und starteten direkt weiter zur Sprintetappe nach Hamburg. Im Morgengrauen kreuzten wir vor Cuxhafen und hatten einige “nette” Funkkontakte mit Frachterkapitänen und der Revierzentrale. Leider hatte der Wind auch zum Schluss kein Einsehen mit uns und wir mussten die komplette Elbe entlang aufkreuzen. Während zu Beginn sogar noch Kapazitäten bestanden, neben dem vielen Wenden unter Deck noch Pfannkuchen zu backen (wobei hier wahrscheinlich mehr Menschen als an Deck pro Wende benötigt wurden, schließlich mussten Pfanne, Eier und Nutellaglas bei jeder Wende umgeräumt werden), waren kurz vor dem Erreichen der Ziellinie alle an Deck, um bei unseren mittlerweile perfektionierten Manövern keine Fahrt mehr zu verschenken. Die letzte Stunde mussten wir sogar mit Gegenstrom kreuzen, sodass es eine gefühlte Ewigkeit und insgesamt 141 Wenden von Cuxhafen bis Hamburg (im Ernst, wir haben gezählt!!) brauchte, bis wir die Linie querab der “Cap San Diego” neben den Landungsbrücken um 16:48 Uhr queren konnten. Am Steg erwarteten uns dann schon Bier und heiße Suppe und am Abend ging es für die gesamte Crew zum Captain’s Dinner im Portugiesenviertel. Spekulationen um die Platzierung gab es zuhauf; wir wussten, dass es ziemlich knapp war berechnet noch eines der anderen Schiffe einzuholen.
Letztlich mussten wir uns bis zur Siegerehrung am 21. Oktober gedulden: herausgekommen ist für uns ein zweiter Platz auf der Etappe Horta-Hamburg, hinter der Haspa und vor der Bank von Bremen und ein dritter Platz auf der Kurzstrecke nach Hamburg. Berechnet lagen wir auf dieser dritten Etappe nur 35 Minuten hinter der Bank, sodass es zum Schluss ein denkbar knappes Gesamtergebnis war. Gewonnen hat die Bank von Bremen (10 Punkte) vor der Haspa (11 Punkte) und unserem Walross 4 (11 Punkte). Wir haben also gegen die beiden Regattayachten unser Bestes gegeben, uns gut geschlagen und nebenbei noch eine Menge Spaß gehabt!
Evi Seumer