Seit zwei Jahren habe ich nun meine Motte. Abheben und geradeaus fliegen ging anfangs recht schnell und einfach. Lange Zeit hab ich mich dann auch nur daran erfreut. Um die Ecken segeln ist jedenfalls ein anderes Thema. Bei irgendeiner Mittwochsregatta ist der Topspeed mal über die 20kn gerutscht. Wer weiß, wie genau der GPS da war, aber der Aufprall kurz danach hat jedenfalls ganz schön weh getan.
Dieses Jahr hatte ich mir dann vorgenommen, mich mal mit anderen Motten zu messen. Mitte August bin ich dann also meine erste Motten-Regatta gesegelt – die Deutsche Klassenmeisterschaft 2017. HALT, das stimmt gar nicht: Ich war ja schon im Frühjahr am Himmelsfahrtswochenende auf dem Berliner Müggelsee. Kurz vorher hatte ich mal wieder ein kleines Problemchen an der Bastelkiste (diesmal nur die Rumpf-Deck-Verbindung aufgegangen, mehr nicht) und die Potsdamer Motten-Freunde haben mir großzügig ihre Erfahrung und Hilfe angeboten. So bin ich also mit dem bescheidenen Ziel, nach dem Wochenende wenigstens ein repariertes Boot wieder mit nach Hause zu bringen, nach Potsdam/Berlin gefahren. Der chirurgische Eingriff war nach ein paar kurzen Stunden mit Harz und Kohlfaserschnipseln überstanden und dann ging es nach also doch zur Regatta zum Müggelsee. 11-Fuß-Flitzer, die mit 30 kn Downwind über der aufgepeitschten Wasseroberfläche fliegen, so stellt man sich das ja vor – aber Pustekuchen! Wie wir jetzt wissen, war es wohl das wärmste Wochenende des Jahres und auf dem Müggelsee war Pupenflaute. Die Motten sind dabei mit Mühe an den schwimmenden Technoparties der Berliner Feiertags-Hipster auf ihren Mietshausbooten vorbei getrieben.
Aber Jollensegeln haben wir ja mal gelernt: nach Windfeldern gucken, ordentlich starten, Winddreher mitnehmen, … wenn die Motten im Low-Rider-Modus fahren, unterscheiden sie sich am Ende kaum von anderen Jollen – außer dass der Rumpf nur 30cm breit ist und dieser Balanceakt bei 3kn Geschwindigkeit wohl der anstrengendste Segelmodus auf der Motte ist.
An Land hat sich schnell der Spirit der Bootsklasse gezeigt. Da wird nicht mit Tipps, Erfahrungen, Ideen, Werkzeug oder Material zurück gehalten – sondern bereitwillig unter den Seglern getauscht. Und auch wenn es auf dem Wasser nur einen ganz kleinen und wenig aussagekräftigen Einblick in die taktischen und technischen Besonderheiten dieser Bootsklasse im Wettkampfmodus gab, hat es doch schon eine Menge Spaß und vor allem Lust auf mehr gemacht.
Deswegen hab ich mich also im August auf den Weg zum Wittensee (im Hinterland von Eckernförde) gemacht. Für die Motten ein perfektes Revier: keine Welle und drumrum flache Landschaft, über die der Wind ungehindert hinwegfegt. Wie in Greifswald eigentlich. Dazu ein kleiner aber feiner Club, mit super engagierten Helfern, die sich ohne zu Mucken ins Zeug legen, um für die Segler eine tolle Veranstaltung auf die Beine zu stellen (wie gesagt, wie in Greifswald ;-) ). Zudem war für das lange Wochenende bestes Flugwetter vorhergesagt.
Freitag. Race day. 10-15kn Wind. Perfekt. Das ist auch das Windfenster, bei dem ich mich hier in Greifswald aufs Wasser traue. 15 Minuten noch bis zum 1. Start. Ein bisschen wird mir jetzt schon mulmig. Denn bei solchem Flugwetter, wo ich so 10-12kn Amwind und knapp 20kn Downwind fahren, habe ich auf dem Bodden schon einen gewissen Sicherheitsabstand zu anderen Booten gelassen – und nun fliegen mir sogar andere Motten (und zwar noch schneller) auf engstem Raum um die Ohren. Puhhh. Ein paar Testschläge noch um die optimale Flughöhe für die Bedinungen herauszufinden und einzustellen und dann mal in Richtung Startschiff gucken. Viele Boote sind noch gar nicht auf dem Wasser, da wird’s sicher noch ein bisschen dauern. Als ich aber am Startschiff mit 15kn vorbei eiere, geht just die Vorbereitungsflagge runter – letzte Minute also! Uuups. Bei den Motten hat scheinbar immer irgendeiner ein Problem mit dem Material, mit dem ein oder anderen Körperteil oder (im besten Fall) weiß einfach noch nicht, welche Foils er heute benutzen will. Da kann man gar nicht auf alle warten. Ich bin also bei 40 Sekunden etwa in der Mitte der Linie und sehe, dass ich viel zu früh am Pin End bin, wenn ich so weiter fahre (fliege). Bremsen geht nicht wirklich und eine Wende kommt nicht in Frage – da würde ich nicht wieder rechtzeitig zum Start auf die Foils kommen. In den Wochen davor habe ich aber endlich den richtigen Dreh (im wahrsten Sinne des Wortes) für die durchgefoilte Halse rausgefunden. Bei 30 Sekunden denke ich mir also “Jetzt oder nie, diese Halse MUSS sitzen”. Also abfallen, wahninnig beschleunigen, früh unterm Baum durchtauchen, und easy das Boot hinterher steuern, Hände wechseln, anluven, geschafft, ich fliege noch. :-) 15 Sekunden noch zum Start und ich fahre mit voller Fahrt mit Wind von Backbord aufs Startschiff zu. Aber das passt. Bei zwei/drei Booten muss ich hinten rum und fahre mit einem Nullstart mit Steuerbordbug (ähhh… Backbordschlag heißt das ja jetzt offiziell) nach rechts raus. Meine erste fliegende Motten-Regatta beginnt.
Als ich mich nach 300m das erste Mal umdrehe um mich zu orientieren, sehe ich niemanden. Alle anderen sind links raus und kaum noch zu erkennen. Da oben ist aber schon die Tonne. Bin ich etwa Erster? Gleich kommt aber das Ufer, da muss ich eine Wende machen. Hoffentlich reicht es als Anlieger zur Tonne. Zwar kenter ich nicht mehr bei jeder Wende wie in meinem ersten Jahr, aber es ist doch noch qualvoll langsam durch den Wind und wieder auf die Foils zu kommen. Gegenüber einer durchgefoilten Wende verliere ich da locker 300m (reicht das überhaupt?). Nachdem ich also auf dem neuen Bug endlich wieder fliege, fällt mir fast die Kinnlade runter. Kann das sein? Da vorne am Horizont fährt das Feld auf die Tonne zu und mein Bug zielt gefühlt auf die Startlinie. Was für ein Wendewinkel! 110, 120 Grad bestimmt. Wenn ich wieder auf Speed bin sicherlich ein bisschen weniger. Ich hab zwar keinerlei Elektronik um das zu überprüfen, aber ich muss mich jedenfalls völlig neu orientieren und umgewöhnen. Ein komplett neues Spiel für mich.
Als ich um die Luvtonne fahre, sind die Ersten fast wieder unten durch am Lee-Gate. Auch der Downwind ist anfangs für mich völlig neu. Ein paar andere Nachzügler hab ich aber als Orientierung, welche Winkel und Geschwindigkeit man hier so fährt. Mir fahren jedenfalls alle um die Ohren. Tiefer, höher, schneller, höher & schneller und auch tiefer & schneller. Wenn’s gut läuft und meine Halsen sitzen, kann ich vielleicht ein/zwei Leute mit Manöverproblemen überholen, auch wenn sie im Straight-Line-Speed mit ihrem neueren Material (vor allem besseren, kleineren Foils) 3-5kn schnell fahren. Meine Devise für diese Regatta war also schnell klar: Gut starten und so wenig wie möglich andere Boote überholen lassen. Dass ich jemanden einhole, der einmal vor mir ist, ist so ziemlich ausgeschlossen. So ist das, wenn man mit einem 10 Jahre alten Boot in einer Konstruktionsklasse unterwegs ist. (Wie war das mit dem “… knife to a gun fight.”)? :-)
Auf dem Downwind muss ich jetzt also “nur” noch richtig raten, dass ich vielleicht wenigstens so ungefähr die Anliegelinie zum Gate treffe. Von den Halsewinkeln hab ich natürlich auch überhaupt keinen Plan. :) Als ich zur Halse ansetze und noch ein bisschen zögere haut’s mich voll aus den Schuhen und ich überschlage mich bei ca. 18kn. Zögern ist tödlich. Aber kein Problem, das Boot wiegt nur so um die 35kg und wenn man beim Aufschlag nach vorne raus katapultiert wird und dabei alles los lässt und an den Wanten vorbei fliegt, passiert eigentlich nichts. Boot aufrichten und weiter. Jetzt das Gate. Anluven bei 20kn ist aber auch so eine Sache. Ich ditsche aber nur mal kurz mit dem Wingbar (wo ich draufsitze) auf der Wasseroberfläche auf und freue mich, dass ich eine von den drei Runde geschafft habe. 10 Minuten sind vorbei und ich bin fix und fertig.
Die zweite Kreuz schaffe ich dann mit nur zwei Wenden über links. Ein junges Mädel aus Bayern fährt zwar höher und schneller an mir vorbei. Das ist aber ok, damit habe ich gerechnet. Auf dem Kurs wird es mittlerweile unübersichtlich. Die 25 Boote sind über die ganze Bahn verteilt und ich sehe nicht mehr durch, wer vor und wer vielleicht noch hinter mir ist. Als auf der Mitte des zweiten Downwind der junge Schwede (der vor kurzem noch den Artemis Katamaran beim Youth America’s Cup gesteuert hat) an mir vorbei pretscht, weiß ich dass ich überrundet bin. Damit darf ich nach dem Gate weiter nach Lee ins Ziel fahren. Die Motten-Klasse fährt nämlich ein “Grand Prix Finish” (wie bei der Formel 1), d.h. dass nach dem Ersten alle ins Ziel fahren dürfen und die Wertung je nach Rundenzahl erfolgt. Zuerst also alle, die drei Runden geschafft haben, dann die mit zwei Runden usw. Wirklich clever für alle Beteiligten. Mir gibt das an diesem Wochenende einige Male ein kleines bisschen mehr Verschnaufpause und die Schnellen müssen nicht so lange warten. :-)
Am Samstag Vormittag hat der Wind dann noch weiter aufgefrischt. Nach ein bisschen kollektiven Zögern, bin ich zwar rausgefahren, hab aber schnell gemerkt, dass nicht ich Boot fahre, sondern das Boot mit mir. Weiter als Halbwindkurs konnte ich nicht abfallen – das ging mir alles zu schnell und ich hatte einfach keine Kontrolle mehr. Bevor irgendwas schlimmes passieren konnte, bin ich dann an Land und hab mir mit 10 anderen Seglern das Spektakel von dort angesehen.
Nachmittags hat der Wind dann merklich abgenommen, sodass ich mich noch mal für ein paar Wettfahrten raus getraut habe. Und das hat sich wirklich gelohnt. Meine Halsen wurden immer sicherer und wenn ich nach den Wenden weit genug abfalle, bin ich in auch bald wieder auf den Foils. Wenn ich bloss wüsste, was ich bei “dieser einen” Wende anders gemacht habe, als ich nur mal kurz mit dem Rumpf aufgeditscht bin und quasi gleich weiter gefoilt bin … na liegt jedenfalls noch eine Menge Arbeit vor mir.
Apropos Arbeit….. diesen Winter werd ich mich mal ran machen, wenigstens eine längenverstellbaren Fühler (das Ding, das da am Bug runterhängt und meine Flughöhe “misst”) zu basteln, damit ich auch bei ein bisschen Welle besser klar komme. Für den Bugsprit, der ja mittlerweile bei den Motten zum Standard geworden ist, fehlt mir jedenfalls noch die Phantasie, wie ich den selber basteln könnte … Bug aufschneiden, Führung für die Längsstößer durch den Rumpf neu machen, … ??? puuuhhh
Am Wittensee hat sich mir jedenfalls gezeigt, dass die Motte das geilste Boot ist, mit dem ich je bei der Regatta nur hinterher gefahren bin. Es macht einfach einen riesigen Spaß. Und zuhause auf der Dänischen Wiek würde ich wohl kaum mit einem anderen Boot alleine rausfahren. Mit der Motte heize ich aber einfach mal so über die Bucht und freue mich, wenn ich die Kiste immer ein bisschen besser beherrsche. Die Lernkurve ist jedenfalls weiter steil.
Ich hoffe, dass ich in 2018 mal ein paar andere Mottensegler für ein gemeinsames Trainingswochenende in Greifswald motivieren kann. Und wer weiß, vielleicht können wir ja auch irgendwann mal eine Regatta hier austragen. Ich denke, die Bedingungen dafür auf dem Wasser und an Land könnten kaum besser sein.
Philipp Gläser
Hier gibt’s noch die Ergebnisliste und eine Foto-Galerie vom Wittensee.