„Hallo André. Hier ist Andreas von der Okidoki. Ich wollte Dich fragen, ob Du die IDM mitsegeln willst.“ „Mmmh“, dachte ich überrascht, „Vielleicht ne Nummer zu groß für mein Baujahr, aber wann hat man schon mal die Chance?“ und stammle ins Telefon: „Ja, äh, gerne. Wann ist die? Aber wir sind noch nie zusammen gesegelt“. Wir sollten davor schon nochmal trainieren, bestätigt Andreas prompt. Am besten zur Haffregatta. Ich: „Da habe ich schon mit meinem Boot gemeldet.“ Andreas: „Na dann melde doch wieder ab…“. Okay, ich rufe zurück.
Zwei Tage später rufe ich mit gesteigerter Vorfreude aber einem neuen Problem zurück. Ich bin gern dabei, muss aber am letzten Tag zu einem Termin nach Frankfurt, der geht nicht zu schieben. Andreas nimmt mich dennoch mit. Also fahren wir jetzt Haffregatta und danach Deutsche Meisterschaften in Olpenitz. Klingt fast logisch…
Andreas hat seine Okidoki sorgfältig vorbereitet, ausgerüstet und frisch ORC-i vermessen. Die Frage ist, ob wir das Potenzial dort abrufen, wo Gegner warten, die sich über Jahre im Rennzirkus bewährt haben. Andreas, Ralf und ich vom Greifswalder Yachtclub bekommen Ergänzung aus Andreas alter Dyas Szene. Mit Stephan (59) und Fernando (41) kommen über 50 Jahre Regattaerfahrung als Verstärkung in Olpenitz an. Nachdem Papierkram gehen wir zu viert zum Wiegen. Ralf schafft es erst gegen Mitternacht, insofern trifft die IDM Crew am ersten Renntag zum Frühstück erstmalig aufeinander. Na denn man tau…
Tag 1:
Erstmal „nur“ das Offshore Race. Das wird uns hoffentlich nicht zu hart bestrafen, wenn unsere Manöver nicht gleich auf Anhieb hinhauen. Nachdem Ralf´s Gewicht den Messbrief bestätigt, laufen wir zügig aus, setzen den Spi, fahren ein paar Wenden und Halsen. Und müssen dann eben vorbereitet sein. Der Wind ist schwach, das kommt uns entgegen. Andreas meint, wir starten konservativ. Er hat wohl die Unzulänglichkeiten in der Abstimmung klar erkannt, schließlich lernt die Crew sich und das Boot gerade erst kennen. Konservativ starten heißt bei der IDM klar, man ist hinten, wenn die Hatz beginnt. Das kümmerte uns erstmal nicht, es ist ja Langstrecke. Das uns die gut geölten ORC 1+2 Maschinen aber schon vorm Luv-Fass mehr vom schwachen Wind wegnahmen als sie uns Raum an der Tonne geben, bringt uns in die Realität zurück. Geschenkt wird einem hier nix. Bei schwachen Winden mit vielen Drehern ging´s laaaangsam Richtung Dänemark. Ums kurz zu machen, das Rennen war für die berechnet langsamste Yacht nicht vergnügungssteuerpflichtig.
Es konnten leider nur 2 Rennklassen gestartet werden, denn die Beteiligung war auch im 2. Coronajahr nicht so dolle. Und manch einer wollte zwar, konnte aber nicht starten. Wir hörten von Hochzeiten bei Outsider und einem Krankenhaus Zwischenstopp bei Muschel (ex und hopp). Gut, die Outsider Rolle haben wir dann wohl übernommen, denn einige dachten sicher, dass wir versehentlich auch eine Startnummer am Bug kleben hatten. Für unsere 36 Jahre alte First 305 hieß das, sie bekommt neben „unseren“ ORC IV Booten eben auch beide Italias 9,98 in ihre Renngruppe, sowie die X-332 Sophus und Quattro, auf die ich sehr gespannt war [Anm.d. Redaktion: André ist ja der Eigner der Greifswalder X-332 Peanuts] und eine Max Fun 35, die in der Box neben uns lag.
Das Offshore Rennen darf nicht gestrichen werden, insofern war der Abbruch der Wettfahrtleitung folgerichtig, denn es wären nur sehr wenige Boote gewertet durch´s Ziel gegangen. Bei uns „lief´s zwar gerade“ – aber im Nachhinein war´s wohl gut, an diesem Tag nichts gewonnen aber eben auch nichts verloren zu haben. Ein Trainingstag, der unserer Lernkurve sehr gut tat.
Irgendwie zog es nach Stegbier und Essen im „Beach Club Olpenitz“ alle zügig in ihre Basislager. Wir gingen ein paar Dinge durch, die es noch zu verbessern galt, waren aber nicht unzufrieden mit dem Auftakt.
Tag 2:
Heute standen drei Up & Downs auf dem Plan und keiner wusste, ob wir uns dafür schon genügend eingegroovt hatten. Na mal sehen. Meine Erwartungen stapelten da tief, nur nicht Letzter werden. Unser Steuermann verfolgte deutlich ambitioniertere Ziele, die er uns auch in ausreichender Dosierung immer wieder vor Augen und Ohren führte. Zunächst wollten wir ab sofort offensiver starten und das gelang uns nicht nur an diesem Tag. Auch das Freisegeln gelang und der Bootspeed war im Verhältnis zu deutlich schnelleren Booten doch sehr wettbewerbsfähig. Die Taktik hatte unser Steuermann, unterstützt von Fernando, immer im Griff, wir fuhren selten mit der Meute mit, ließen sie auch nicht zu weit ziehen. Klar fehlte es den Manövern noch an Glanz und Perfektion, es war ja diesmal auch etwas Wind. Als einzige fuhren wir noch die große Genua und wendeten damit nicht ganz so auf dem Teller wie andere Boote. Aber nun bekamen wir Routine in unsere Abläufe. Vor der dritten Wettfahrt bestätigt die Wettfahrtleitung dann das Gerücht, dass wir heute noch das gecancelte Offshore Rennen als Mittelstrecke absolvieren. Verständliche Entscheidung, aber nochmal kräftig durchatmen, denn Puls hatte ich schon genug.
So ging es nach dem vierten Start eng ums Luvfass und runter zum Gate für die Mittelstrecke. Einmal ums Viereck des Sperrgebietes ohne in selbiges einzutauchen. Richtung egal. Wir blieben taktisch bei unseren direkten Gegnern und fahren rechtsrum, denn nach drei Wettfahrten hatten wir mal aufs Ergebnis geschaut. Platz 4,5 und 8 – das war deutlich mehr, als wir erwarten konnten. Mit dem Selbstbewusstsein dieser Position segeln wir sauber das Viereck ab, zwei Drittel davon im Dunklen. Aber unsere Spimanöver klappen nun auch ohne Tageslicht und erst nach der zweiten Hafeneinfahrt nehmen wir unseren roten Runner runter. Etwas irritiert, denn die Ziellinie entdecken wir erst kurz danach.
Mit einem 5. Platz beenden wir die Mittelstrecke und liegen am 2. Tag auf Platz 6 und in unserer Gruppe sogar auf 2 hinter den Bostik Bad Boys (Melges24), den Titelverteidigern in ORC IV. Und vielleicht können wir den 8. ja noch streichen. Nach ausführlichem Debriefing und der Analyse, was noch schneller und was ruhiger ablaufen muss, falle ich in den Tiefschlaf.
Tag 3:
Zufrieden und motiviert werfe ich am nächsten Morgen die Espressomaschiene an, Ralf hatte schon Brötchen im Niemandsland organisiert, so kann es weitergehen. Allerdings merke ich, was vielen um die 55 auffällt: Ich habe Körper. Nicht sehr schlimm, dafür aber überall. Und auch bei der Crew ist hier ein Veilchen und da eine Beule oder ein leichtes Schmerzgesicht zu beobachten. Die ganze Woche danach noch lerne ich zu verstehen, warum unsere Rostocker Nachbarn von der Nemo durchaus zu Knieschützern gegriffen hatten.
Aber zurück zur Internationalen Deutschen Meisterschaft, wo bekanntlich keiner Schmerzen kennt oder zumindest nicht zugibt. Sehr international war es diesmal nicht, wenn wir den englisch-sprachigen der Durchsagen des Wettfahrtkomittees mal absehen. Aber Fernando, der in Chile geboren ist, leistete hier einen weiteren Beitrag. Und machte aus unserer „bunten Truppe“ aus dem Osten, der man den Preis für die längste Anreise (und Einhand) gegönnt hatte, eine „internationalen Crew“, die spätestens heute jeder auf dem Zettel hatte.
Drei Wettfahrten standen uns heute bevor. Und nun ging es um viel. Unsere Position verteidigen oder sogar noch etwas nach vorne fahren?! Konzentriert gingen wir ans Tageswerk. Und fuhren gleich einen 4. Platz ein. Toll gemacht, die zwei Italias fuhren eh in einer eigenen Liga (IMMAC gewinnt mit 9(!) Siegen) und mit Sophus eine Flensburger X-332 vor uns. Also vieles richtig gemacht. Dann kommt das Gefühl, wir haben es jetzt im Griff, jeder weiß, was wann zu tun ist. Alle Irritationen sind beseitigt, wir sind im Flow.
Nun, so ganz congenial war´s dann doch nicht, denn kleine Fehler summieren sich gerade an den Tonnen manchmal zu gewissen Herausforderungen. Nach nunmehr 7 Rennen mussten wir wohl auch unsere Reserven mal ankratzen und es wurde schwerer, immer den Fokus zu halten. Mal hängt die Genua-Schot in der Klemme, mal fällt die Spischot aus dem Baum, alles bekommen wir in den Griff. Aber ein paar Sekunden kostet es uns eben. Die Luvfässer werden manchmal von fünf großen Booten umkämpft, mit einem 30 Fuß Schiff im Strom da immer perfekt positioniert zu sein, war nicht ganz einfach. Aber wir sehen auch, dass andere Crews zu kämpfen haben. Mein mentaler Tiefpunkt war ein Ausrutschen von Stephan auf dem Vorschiff. Bis auf Füße und Hände an der Reling war der 100 kg Mann außenbords. Doch mit schneller Reaktion bekommen ihn Ralph und Fernando wieder an Bord, während ich mit Andreas kurz vorm Fass den Spi runterreiße. Nochmal gut gegangen… Es war das vierte Rennen von geplanten dreien. Klar wollte die Wettfahrtleitung möglichst alles im Kasten haben, um am Dienstag nur noch ein oder bei Flaute eben kein Rennen mehr zu starten. Täglich vier Rennen waren schon eine Herausforderung, wenn auch eine, die wir zusammen gut gemeistert haben.
Denn nach acht Rennen ist es kein Zufall mehr, dass wir den 5. Platz verteidigen konnten und in unserer ORC IV Klasse nun auf dem ersten Platz vorgerückt sind. Allerdings hauchdünn vor Nemo, die Deutschen Meister aus 2019. Ganze 1,5 Punkte trennten uns. Basierend auf 1 Sekunden Abständen. (Ergebnisse)
Tag 4:
Den Tag kann ich nur aus der Ferne beschreiben. Ich war nicht dabei. Mit unserem Segelmacher Stefan Voss (UK) hatte die Okidoki aber den besten Ersatz und ich war mir sicher, dass die Jungs die Platzierung halten würden, wenn noch gesegelt wird. Die Vorstartphase kann ich im Tracker noch sehen: Okay, das 9. Rennen wird also noch gestartet. Zum Startschuss hebe ich maskiert in Hamburg ab und hoffe, das Rennen noch live ins Ziel gehen zu sehen.
Frankfurt/M.: Endlich wieder Netz. Oje, auf dem Tracker sieht es nicht so gut aus. Klar, die anderen müssen Zeit rausfahren und es ist schon die letzte Up and Down Runde. Ein Platz hinter Nemo würde ja gerade noch reichen…. Es ist wenig Wind und Gegenstrom auf der letzten Kreuz.
Wenn uns da nur keiner mehr dazwischen kommt. Zum Glück kam es genauso. Nemo geht zwar berechnet 9 Sec vor uns ins Ziel und wird 7. Die Quattro wird geschlagen und kommt nicht mehr dazwischen. Wir werden 5. in der IDM-Wertung und gewinnen also ORC IV Klasse mit hauchdünnem Vorsprung von 0,5 Punkten. Ich gratuliere per Whatsapp. Zur zweit-platzierten Nemo trennen uns „eine!“ hauchdünne Rennsekunde.
Fazit:
„Keine Masse, aber große Klasse“ so betitelt die Yacht ihren Bericht zur IDM. Dem ist nichts hinzuzufügen. Vielleicht nur, dass es für viele Segler möglich ist, dort dabei zu sein; dass es sehr enge Wettfahrten sind; dass ORC-i funktioniert und der Veranstalter sich jede Mühe gibt; dass die Wettfahrtleitung einen tollen Job gemacht hat und die Flotte souverän und ohne einen Protest vier Tage miteinander gekämpft hat. Und dass die Anführer der Heckparade dieses Jahr von der Okidoki (GYC) um Steuermann Andreas Linke kamen, was uns für die Greifswalder Szene besonders freut.
Wir bedanken uns auch bei unseren Mitkämpfern aus Rostock, Kiel und Flensburg für spannende Rennen. Und wollen anderen Crews die ORC-Regatten und IDM wärmstens empfehlen. Vielleicht wird ja die kleinste ORC IV Gruppe am Ende noch ganz groß. Unser Dank auch an Felix Diemer für viele tolle Bilder. Teilen und MITMACHEN ausdrücklich erwünscht.
André Zoellner (GER 7945; Okidoki)